Der tägliche Aufenthalt im Wald bietet den Kindern wertvolle Erfahrungen und Entwicklungsmöglichkeiten, die ihnen sonst in unserer heutigen durchorganisierten, von technischen Abläufen bestimmten Welt, in der Sinnzusammenhänge immer weniger durchschaubar sind und in der die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten immer geringer werden, oftmals abhanden gekommen sind.

Hier im Waldkindergarten ist die wichtigste pädagogische Kraft die Natur selbst! Der freie Himmel, also auch keine begrenzenden Türen und Wände, die Stille, die frei verfügbare Zeit zum Spielen während des Freispiels bilden den äußeren Rahmen, in dem die Kinder zu innerer Ruhe und emotionaler Stabilität kommen und Konzentrationsfähigkeit finden können. Sicherlich ließe sich diese Liste an Merkmalen noch weiter fortführen, zeigen sich hier aber schon wichtige Ziele und Kompetenzen gerade auch im Hinblick auf die weiteren Lebensabschnitte unserer Kinder, weit über die Kindergartenzeit hinaus!

Die Erzieherinnen im Kindergarten arbeiten, leben, lernen und lachen jeden Tag gemeinsam mit Kindern, die in einem entscheidenden und einmaligen Lebensabschnitt stehen, weshalb sie auch eine besonders verantwortungsvolle und ernst zu nehmende Aufgabe erfüllen müssen. Die Erziehung im Waldkindergarten ist ganzheitlich orientiert vom ersten bis zum letzten Kindergartentag. Das bedeutet, die Kinder werden hier sozial, intellektuell, emotional, schöpferisch sowie körperlich gefordert und gefördert. Die Kinder begreifen ihre Welt durch vielfältige Selbsttätigkeit, ihr Wissen basiert zu großen Teilen auf real gemachten Erfahrungen durch die unmittelbare Begegnung mit Gegenständen, Menschen, Tieren und Situationen.

Im Waldkindergarten Wiesmoor sollen die Kinder mit einem Stück ursprünglicher, natürlicher Welt vertraut werden, die sich noch entdecken und erobern lässt. Sie sollen nicht nur „waldtauglich“, sondern auch lebenstüchtig werden, wenn hier Erleben einen höheren Stellenwert einnimmt als ein überzogenes Sicherheitsdenken, das dem Leben die Lebendigkeit austreibt. Verschiedene Untersuchungen belegen, dass bereits Kindergartenkinder heute in vielen Bereichen große Defizite haben. So können viele Kinder beispielsweise einfache Bewegungsabläufe in alltäglichen Situationen nicht mehr durchführen. Die Folgen sind dann erhöhte Unfallrisiken, aber auch Gesundheitsmängel aufgrund eingeschränkter Bewegung, wie eine Gesundheitsstudie in deutschen Kindergärten ergab. Hier hatten 60 % aller Drei- bis Sechsjährigen Haltungsschäden, 40 % Herz- und Kreislaufprobleme und 30 % Übergewicht (vgl. Kunz, T. 1983, S 13).

Der Wald gibt den Kindern den nötigen Raum, ihren Bewegungsdrang in einer natürlichen, nicht durch künstliche Reize überfluteten Umgebung auszuleben, neue Bewegungsabläufe zu erwerben, zu trainieren und zu koordinieren. Die vielfältigen Bewegungsmöglichkeiten im Wald fördern nicht nur die motorische, sondern gleichzeitig auch die kognitive Entwicklung (Erkennen, Erfassen, Intelligenz, Denken, Wahrnehmung, Sprache), die eng mit der Motorik verbunden ist, zumal das Erwerben von Kenntnissen über unsere Welt von den Kindern nicht so sehr über komplizierte Denkakte, sondern vielmehr durch die Sinneswahrnehmungen Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen und Sehen erfolgt. Gerade Kindergartenkinder lernen überwiegend handlungs- und erfahrungsbezogen und sind darüber hinaus besonders aufnahmebereit und begeisterungsfähig. Vieles von dem, was sie in ihrer Umgebung sehen und erleben wird sofort freudig in ihrem Spiel aufgegriffen und nachgeahmt. Im Spiel hat das Kind die Möglichkeit, neue Erfahrungen und neues Wissen zu erwerben, dieses gleichzeitig zu verarbeiten und so vielerlei zu lernen. Das Kind lernt während dieses Lebensabschnittes hauptsächlich aus eigenem Antrieb heraus, aus Freude an dem, was um es herum geschieht sowie aus Interesse an den Dingen selbst.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich für die Kinder des Waldkindergartens Wiesmoor vielfältige Möglichkeiten, die im Folgenden stichpunktartig vorgestellt werden und die deutlich machen, dass der Waldkindergarten die Persönlichkeit des Kindes ganzheitlich fördert:

  • Kommunikationsfähigkeit (z. B. Im Freispiel miteinander zu reden, um das gemeinsame Spiel zu planen)
  • ·Sozialverhalten (z. B. einander helfen, den Rucksack aufzusetzen)
  • Phantasie und Kreativität (z. B. eine Puppe oder anderes Spielmaterial aus Stöcken und Gräsern herstellen)
  • Selbstvertrauen (z. B. sich trauen, über einen Wassergraben zu springen)
  • Grobmotorik (z. B. beim Klettern auf einen Baum)
  • Feinmotorik (z. B. beim Schneiden von Gräsern mit einer Schere oder beim Arbeiten mit verschiedenen Werkzeugen; beim Basteln mit Tonpapier)
  • Naturkenntnisse (z. B. beim Beobachten von Tieren, Pflanzen und Naturphänomenen sowie durch Gespräche und ergänzende Informationen durch andere)
  • Taktile Wahrnehmung (z. B. beim Matschen und Formen mit Erde oder Lehm)
  • Regelverständnis (z. B. bei den Kreisspielen oder an den Haltepunkten, an denen die Kinder warten müssen, bis alle anderen angekommen sind)
  • Konzentrationsfähigkeit (z. B. beim Balancieren über einen Baumstamm)

Auch wenn es keine rechtlichen Regelungen zum Thema Förderung der Schulfähigkeit in Kindergärten gibt, wird diesem Thema im Waldkindergarten Rechnung getragen.

Unsere Erzieherinnen stehen in einem regelmäßigen Austausch und Kontakt zu allen Grundschulen in Wiesmoor durch den Arbeitskreis KiGs. Nicht zuletzt mit Hilfe der gemeinsam organisierten Kennenlerntage für die zukünftigen Schulanfänger, dem Austausch von gewonnenen Erfahrungen auf beiden Seiten, gegenseitigen Hospitationen und der Organisation von gemeinsamen Elternabenden und Festen geht es ihnen darum, einen gleitenden Übergang zwischen dem Waldkindergarten und der Grundschule zu schaffen.

Allgemein kann man sagen, dass das Lernen in der Grundschule keiner besonderen Vorkenntnisse bedarf. Selbstverständlich gibt es gewisse Basiskompetenzen, über die ein Grundschulkind wünschenswerter Weise verfügen sollte und die dem Kind den Einstig in die Schule erleichtern könnten. Dazu gehören beispielsweise bestimmte Formen sozialen Verhaltens, Selbstsicherheit, Selbständigkeit, Konzentrationsfähigkeit, die Fähigkeit, sich an Regeln zu orientieren, die Fähigkeit zur Kommunikation, Lernbereitschaft und Kreativität. Jedoch sollten sich diese, wie die Erfahrungen der letzten Jahre bereits gezeigt haben, durch den Besuch des Waldkindergartens intensiv ausgebildet haben, zumal das Ziel der pädagogischen Arbeit im Waldkindergarten Wiesmoor in erster Linie die Förderung der Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit ist. Ein anderer wesentlicher Aspekt wird bei der Frage nach einer Förderung der Schulfähigkeit häufig vernachlässigt: die Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung. Kinder lernen spielend, und nur wenn sie sich mit der Welt im Spiel ausgiebig auseinander gesetzt haben, können sie sie auch in ihren komplexen Zusammenhängen verstehen. Anders als die Kinder beispielsweise mit Schwungübungen oder Vorschulstunden vermeintlich auf den weiteren Lebensabschnitt vorzubereiten, ermöglicht der Besuch des Waldkindergartens ihnen viele unbeschwerte Stunden zum Spielen im Wald. Intensives, lang andauerndes Spielen, vor allem unbeeinflusst durch festgelegte Bestimmungen von vorgefertigtem Spielzeug, das die Entfaltung der Eigeninitiative, der Phantasie und der Kreativität anregt sowie zahlreiche soziale Lernmöglichkeiten, bietet, das erleben viele Kinder heute ansonsten nur noch selten. Darüber hinaus sind die Sinneserfahrungen und Bewegungsmöglichkeiten, wie der Wald sie in Hülle und Fülle biet, die besten Voraussetzungen für die Entwicklung der Fähigkeit zum abstrakten Denken. Die Vielfalt an Bewegungsmöglichkeiten sowie die Anregung aller Sinne verhelfen den Kindern dann auch dazu, in der Schule die notwendige Konzentration und Ausdauer zu entwickeln, die dort gefordert werden. Auch erfordert es vollständige Ruhe und Konzentration, still auf dem Waldweg sitzend ein Eichhörnchen bei der Futtersuche zu beobachten und es dabei nicht aus den Augen zu verlieren, wie es immer wieder im Wald zu erleben ist. Das Stillsitzen lernen die Kinder im Waldkindergarten also nicht auf Stühlen, vielmehr werden sie jeden Tag wieder aufs Neue vom Abenteuer Wald „gefesselt“. Hinsichtlich der Motorik ist festzustellen, dass der Bewegungsraum Wald zugleich die Grob- wie auch die Feinmotorik durch das Spielen und Basteln mit großen wie auch mit kleinsten Naturmaterialien fördert, so dass man davon ausgehen kann, dass die Kinder mit grundlegenden motorischen Kenntnissen und Fähigkeiten in die Grundschule entlassen werden.

Wichtig für einen gelungenen Start in die Schule ist mit Sicherheit auch ein neugieriges, interessiertes Kind, das aufmerksam beobachtet und viel fragt. Der Wald bietet jeden Tag etwas Neues, was entdeckt, erforscht und hinterfragt werden muss, auch ganz ohne Impuls oder Anleitung durch eine Erzieherin. Das Interesse und die Neugier auf Dinge und Sachverhalte schlummern in jedem Kind und werden durch die natürliche Umgebung im Wald mehr als geweckt.

Farben, Formen und Anzahlen erlernen die Kinder im Waldkindergarten bei ihrem Aufenthalt im Wald und durch die diversen Rituale und Angebote, wenn sie z. B. Im Herbst mit bunten Blättern Bilder legen oder Steine, Tannenzapfen sowie im Morgenkreis alle Anwesenden zählen. Auch das freie Sprechen vor der Gruppe und das gegenseitige Zuhören werden beispielsweise täglich im Morgenkreis und während des gemeinsamen Frühstücks geübt und auch im Freispiel entwickeln die Kinder eine verstärkte verbale Kommunikation, sie müssen ganz einfach viel mehr erzählen und erklären in ihrem weitestgehend „spielzeugfreien“ Kindergarten.